Wenn Ende März der Frühling in der Luft liegt, die Vögel zwitschern und die Sonne durch die (ungeputzten) Fenster scheint, dann tanzen auch oft Staubflusen über dem Sofa und es wird einem dramatisch klar, dass man mal wieder putzen sollte. Man nennt das dann freundlich Frühjahrsputz, aber oft beschreibt der Zustand der Wohnung eher das systematische Versagen während des restlichen Jahres :). Ich weiss, dass es schwer zu glauben ist, aber es gibt Menschen, die putzen regelmässig und halten die „Hütte“ sauber, haben einen Plan und wenn dann mal tatsächlich die Sonne scheint und die Vöglein zwitschern, haben sie Zeit spazieren zu gehen.
Auch mag man es kaum glauben, aber in der abstrakten und eher virtuellen Welt verhält sich das genauso. Wer seine Soft- und Hardware nicht regelmässig „putzt“, also aktualisiert, durchchecked, hier ein wenig umbaut und dort ein wenig anpasst, verliert schnell den Überblick und damit auch oft den Bezug zur Realität. Es dauert dann nicht lange und irgendwas funktioniert nicht mehr so wie es sollte.
Methoden
So grundsätzlich gibt es bei der Erstellung und Wartung von Software ja zwei „Konzepte“, die sich sicher auch an manchen Stellen überschneiden.
- Niemals etwas freiwillig ändern: Alles geheim halten und gewissermassen langsam „verdrecken“ lassen. Wenn man merkt, dass die „Ölplatttform brennt„, ganz schnell Aktivität zeigen und in Hektik putzen oder etwas Neues bauen.
- Permanent etwas ändern: Alles transparent machen und regelmässig „putzen“, beispielsweise jeden Freitag.
1. Niemals etwas freiwillig ändern
Der Begriff Security by Obscurity war lange Zeit sehr verbreitet und ist teilweise heute noch Teil von Sicherheitskonzepten, man denke nur an die vielen schönen neuen Algorithmen der künstlichen Intelligenz oder manche Verschlüsselungsverfahren bei Messengern. Er beruht auf der Idee Dinge einfach geheim halten zu können, die ansonsten eine weite Verbreitung finden würden. Wenn niemand weiss, wo das Gold vergraben ist, findet es auch niemand. Wenn niemand unseren Verschlüssungsalgorithmus kennt, kann den auch niemand umgehen.
Man ändert in solchen Systemen nur etwas, wenn es unbedingt notwendig ist und dann auch nur möglichst wenig. Wenn es nicht mehr funktioniert, wirft man das Alte weg und baut etwas Neues.
Auf das Putzen bezogen, wäre das etwa mit der Methode zu vergleichen, die ich früher praktizierte, wenn ich mein Zimmer aufräumen sollte. Ich schob alles unter mein Bett, das Zimmer war „sauber“ und ich konnte raus zum Spielen. Solange keine verderblichen Lebensmittel dazwischen waren und die Menge der Spielsachen unter das Bett passte, klappte das sogar erstaunlich gut. Ich wusste zwar nicht mehr welche Spielsachen ich wo hatte, aber ich war das Zeug erstmal los. Klarer Nachteil der Methode: Wenn ich mal in meinem Zimmer spielen wollte, wusste ich weder, was ich an Spielsachen hatte, noch, wo es genau ist. Die Dinge unter dem Bett häuften sich, meine Eltern bemerkten es und ich musste wirklich „aufräumen/putzen“. Oft habe ich dann viele Sachen aussortiert und weggeworfen.
Es gibt da diese Idee, von der du bestimmt schon mal gehört hast:
Alles hat einen Platz. Man nimmt es von dort und nachdem man es benutzt hat, macht man es sauber und stellt es wieder dorthin.
Wer mir jetzt inhaltlich nicht mehr folgen kann, weil die eigene Sozialisation völlig anders verlief, der oder die schaue bitte kurz in die eigene Smartphone-Fotosammlung, den Download/Desktop-Ordner, den Papierkorb auf dem PC und vielleicht noch in die Einstellungen des Browsers bzgl. Historie, Cookies, Lesezeichen und in den Passwortmanager. Sich auch Fragen wie: Welche PHP Version wird von meiner WordPress Site genutzt? Welche Version WordPress benutze ich eigentlich? Wieviele Netzteile befinden sich in meinem Haushalt und für welche Geräte sind sie geeignet? sind hilfreich zu beantworten fürs „Putzen“. Hatte ich schon nach der Menge an E-Mails gefragt, die einfach so da sind 😉 ?
Wer putzt, sieht Sachen und wer viele Sachen sieht, überlegt sich, wozu die eigentlich gut sind. Neudeutsch heisst das im virtuellen Umfeld Data Mining. Das Wissen um das Inventar, bzw. die Daten, könnte zur Folge haben, dass bei Neuanschaffungen bessere Entscheidungen getroffen werden, weil man weiss, was man schon besitzt und wie man es kombinieren kann.
Ich kenne tatsächlich wenige Personen, die virtuell „Ordnung“ halten. Und selbst wenn sie es machen, dann gibt es oft beispielsweise den einen Ordner! Diesen Ordner kennt die Person, die ihn erstellt hat und da ist dann alles drin, was nirgendwo so richtig reinpasst oder wo man mal in Zukunft aufräumen will. So ein Ordner kann sehr gross werden! Manchmal heißt der Ordner unsortiert und ist sogar durch ein Passwort geschützt.
Das ebenfalls allgegenwärtige Passwortdrama, die Messenger-, Kalender-, Kollaborationstool- und Versionsverwaltungs-Biotope grösserer Firmen will ich hier gar nicht erst erwähnen.
Oft liegt diesem Verhalten auch die Idee zugrunde, dass man lieber nur etwas tut, wenn es wirklich, wirklich notwendig ist. Das hat in der Vergangenheit auch manchmal funktioniert. In vielen Firmen wird nach wie vor die Frage gestellt, was preisgünstiger ist: Die Folgen eines „Angriffs“ auf die Unternehmens-Software zu bereinigen oder präventive Sicherheitsmassnahmen durchzuführen. Mittlerweile sind die negativen Folgen von Angriffen oft höher, da immer mehr online abgewickelt wird und somit auch die Verluste im Fall eines Ausfalls immer grösser werden.
Wenn man sich daher weiterhin so verhält, dann funktioniert halt mal der eigene Online-Shop ein paar Stunden/Tage nicht mehr – oder im privaten Umfeld der Fernseher, das Smartphone, das Bankkonto, die Heizung oder das smarte Licht. Manchmal sind auch nur alle Fotos weg oder die MP3 Sammlung.
2. Permanent etwas ändern
Dieser zweite Ansatz beschreibt in etwa das Gegenteil der ersten Variante. Anstatt nur bei echtem Bedarf, um nicht zu sagen, im Notfall, etwas zu tun, fängt man an, eine gewisse, vorausschauende Regelmäßigkeit einzuführen („Freitags wird geputzt!“). Man nimmt zur Kenntnis, dass man in einem Ökosystem lebt und alles mit allem zu tun hat. Man hält Zusammenhänge nicht geheim, sondern gestaltet sie transparent. So kann man selbst und im Idealfall vielleicht sogar jede andere Person nachschauen, warum etwas so und nicht anders funktioniert und bei Bedarf reagieren.
Vielleicht geht dieser Gedanke auch ein wenig in Richtung Kreislaufwirtschaft im Gegensatz zu einer Linear- oder auch „Wegwerfwirtschaft“
Zuviel von allem
Eine weitere Parallele in der virtuellen Welt, verglichen mit der Realwelt ist der „zuviel von allem“ Effekt. Es sammelt sich unglaublich viel an, das man vielleicht gar nicht benötigt. Viele Firmen haben viel zu viele Websites. In den Menüs sind oft viel zu viele Links. Um die Links darstellen zu können, benötigt man Mega-Menüs, oft mit Animationen und integriertem Suchfeld mit Facetten-Suche :). Die Mega-Menüs funktionieren auf kleinen Telefonbildschirmen nicht so gut, weil sie halt gross sind.
Man könnte nun die Websites aufräumen, die Menüs kleiner machen oder … die Telefone grösser machen!
Zurück zum Putzen 🙂
Wenn ich einen regelmässigen Termin zum Putzen festlege und den auch einhalte, ist meine Wohnung immer hinreichend sauber. Ich sehe auch meine Wohnung regelmässig und bemerke, wenn beispielsweise ein Licht nicht funktioniert, eine Leiste bald abfällt, eine Pflanze stirbt, sich Ungeziefer ausbreitet, ein Wasserschaden entsteht, eine Fliese locker ist oder der Staubsauger eigenartige Geräusche macht. Kurz gesagt, ich habe einen gewissen Überblick über die Lage und kann mit diesem Wissen recht einfach Reparaturen einplanen und vielleicht sogar selbst durchführen.
Bringen wir das mal in die virtuelle Welt:
Wenn ich einen regelmässigen Termin zum „virtuellen Putzen“ festlege und den auch einhalte, ist die Soft- und Hardware immer hinreichend funktionsfähig. Ich bemerke, wenn irgendwo Fehlermeldungen auftauchen, Dinge falsch angezeigt werden, Daten nicht mehr da sind und irgendwo ein ungewöhnliches Verhalten auftritt.
Inspiziere mich!
Nochmal ein extra Hinweis und als Bonus eine (kostenlose) Geschäftsidee: Das Ganze ist ein wenig wie die Inspektion eines Automobils, die jährliche Heizungsdurchsicht oder die Wartungsanzeige der Kaffeemaschine!
Das Auto zeigt beispielsweise in einem Display „inspiziere mich“ an und man fährt in eine Werkstatt zur Inspektion.
Soft- und Hardware könnten in Zukunft einen Hinweis geben: „Inspiziere mich!“.
Was muss denn überhaupt geputzt und inspiziert werden?
Das ist die ganz grosse Frage 🙂
Webprojekte
Ich versuche mal ein Beispiel aus meinem Leben.
Grössere Drupal-Projekte bestehen aus dem Drupal Core und meistens mehr als 30 zusätzlichen Modulen. Da sind oft selbst entwickelte Module dabei und Module, die noch nicht stable verfügbar sind. Die also prinzipiell schon gut funktionieren aber irgendeine Kleinigkeit passt noch nicht so recht. An dem Tag, an dem die Site live geht, denkt man oft nicht mehr an das Aktualisieren dieser Module und spielt einfach automatisiert Sicherheitspatches ein. Die Site funktioniert oberflächlich, altert darunter aber natürlich, weil keiner hinguckt.
Nun ändern sich an Modulen aber nicht nur „technische/sicherheitsrelevante“ Dinge, sondern oft auch allgemeine Abläufe, Konzepte und Ideen. Wer also „nur“ die Sicherheitspatches einspielt, steht irgendwann vor einer Site, die durch eine Konzeptänderung, die man gar nicht bemerkt hat, plötzlich offline ist. „Professionell“ gelöst wird das „Problem“ oft mit einen Relaunch der Site. Man wirft die alte Site weg und baut einfach eine Neue.
Um den oben erwähnten Satz …
Alles hat einen Platz. Man nimmt es von dort und nachdem man es benutzt hat, macht man es sauber und stellt es wieder dorthin.
… auch in die virtuelle Welt zu bringen. Hast du mal kontrolliert
- Wieviel Datenbanken du eigentlich in deinem MySQL/MariaDB hast und wieviel du davon wirklich benutzt?
- Wieviel Docker/Snap/Kubernetes-Pakete so vor sich hinlaufen und Speicher und Elektrizität verbrauchen?
- Wieviel Testing- und Staging- und Prototyping– und „oh das muss ich mal ausprobieren“-Installationen auf deinem Server (deinen Servern, deinem PC, deinem Smartphone) vorhanden sind?
- Auf welchen Ports welche Services laufen?
- Welche Plugins in deinem WordPress aktiviert sind und was die überhaupt tun? Sind die alle immer noch notwendig?
In einer virtuellen Welt, die am besten auch noch weitgehend automatisiert wird, kann man ganz einfach eine ganze virtuelle Welt unter ein virtuelles Bett kehren. Das merkt (erstmal) niemand 🙂
Desktop, Laptop, Smartphone
Auch wenn es simpel klingt.
- Hast du eigentlich ein Backup deiner Daten?
- Hast du schon mal ausprobiert dein Backup wiederherzustellen?
- Schaust du öfter in deinem Browser, welche Cookies gespeichert sind und welche Websites welche Mengen an Daten auf deinem Gerät hinterlegt haben?
- Weisst du wieviel Speicherplatz deine Messengerchats benötigen?
Fazit
Die Digitalisierung ist überall angekommen und macht sich breit.
Ich schlage eine wöchentliche „Putz- und Reparierstunde“ für alles Digitale vor. So wie man sich die Zähne regelmässig putzt und die Wäsche wäscht, muss man regelmässig ein Auge auf die Technik, die einen umgibt, haben.
Kulturtechniken wie der Frühjahrsputz aus der „realen, alten Welt“ helfen da durchaus!
Links
tl;dr: Ab heute wird jeden Freitag eine Stunde digital geputzt und geflickt 🙂
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